Das beim Kröner Verlag erschienene Fachbuch Die deutsche Gespenstergeschichte von Gero von Wilpert verspricht eine umfassende Gesamtdarstellung der deutschen Gespenstergeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Lasst uns gemeinsam einen Blick auf das 440 Seiten umfassende Werk werfen und schauen, ob sich dieser kompakte Überblick lohnt oder nicht.
Wer ist Gero von Wilpert?
Gero von Wilpert war ein deutscher Literaturwissenschaftler, der insbesondere bei Germanistikstudenten für seine literaturwissenschaftlichen Nachschlagewerke wie z. B. dem Goethe-Lexikon bekannt ist. Seine letzten Lebensjahre hat er in Australien verbrachtund dort als Germanistikprofessor an der Universität in Sydney. Zu dieser Zeit entstand neben etlichen Fachbüchern auch sein Buch zur deutschen Gespenstergeschichte.
Inhalt von “Die deutsche Gespenstergeschichte”
Wer schon mal eine wissenschaftliche Abhandlung gelesen hat oder gar selbst eine Hausarbeit schreiben musste, den wird es nicht überraschen, dass das Buch mit einem Vorwort beginnt, welches den Sinn und Zweck der vorliegenden Arbeit erläutert. Danach geht es dann – wie für literarische wissenschaftliche Texte üblich – erst einmal um die richtigen Begrifflichkeiten. Gero von Wilpert erläutert daher auf den ersten zwanzig Seiten, woher der Begriff Gespenst stamme, was ein Gespenst im Volksglauben sei und welche Merkmale eine Wesenheit haben müsse, um als Gespenst zu gelten. Und natürlich wird auch die Frage geklärt, wie sich denn das literarische Gespenst vom Gespenst aus dem Volksglauben unterscheidet.
Dann gilt es im nächsten Unterkapitel noch den Begriff der Gespenstergeschichte zu definieren. Dabei geht es um die Erzählform, den Aufbau, das Motiv, die Atmosphäre – aber auch darum, wie Gespenstergeschichten Spannung erzeugen, wie literarische Angst funktioniert und warum wir Leser eigentlich so ein Vergnügen an Gespenstergeschichten haben.
Nach guten 60 Seiten, wenn der Leser weiß, was die Kriterien einer Gespenstergeschichte sind, beginnt die Reise durch die Epochen. Vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert hinein folgt das Werk von Gero von Wilpert nun einem stringenten Muster, von dem er nur in Ausnahmefällen abrückt. Die Gespenstergeschichte wird im Lichte jeder Epoche genau betrachtet:Welchen Einfluss haben sich verändernde Denkmuster, die gesellschaftlichen Situationen oder auch neu aufkommende Erzählformen auf das Motiv des Gespenstes im Speziellen oder gar der Gespenstergeschichte im Allgemeinen?
So schreibt Gero von Wilpert zum 18. Jahrhundert zur Aufklärung:
“Das rationale Weltbild hatte zwar den Verstand zum Bewußtsein seiner selbst befreit, die Instinkte, die kreatürliche Angst und die seelischen Untergründe indessen keineswegs domestiziert. Die Welt bestand eben nicht nur aus dem rational Beweisbaren und dem natürlichen Erklärbaren, sondern auch aus überlieferten und eingelernten Vorstellungsinhalten, für die ein Tatsachenbeweis ebenso unmöglich war wie der Gegenbeweis ihrer Irrealität. Das 18. Jahrhundert ist nicht umsonst zugleich das große Jahrhundert der Geheimbünde, der Scharlatane und der Geisterseher und -beschwörer.”
Damit gibt Wilpert dem Leser einen präzisen Überblick über die Epoche und deren prägende Merkmale, bevor er mit den einzelnen Autoren fortfährt.
Dabei kann es schon mal vorkommen, dass ein Autor wie z. B. Joseph von Eichendorff auf eineinhalb Seiten abgefrühstückt wird, denn wie Gero von Wilpert hier richtig feststellt, “In der Erzählwelt Joseph von Eichendorffs ist für Gespenster kein Raum“.
Lohnt sich das Buch “Die deutsche Gespenstergeschichte“?
Gero von Wilperts Die deutsche Gespenstergeschichte ist ein Fachbuch, das sich intensiv mit dem literarischen Motiv des Gespenstes vom Mittelalter bis zur Gegenwart auseinandersetzt. Für Leser, die sich mit der Geschichte und Entwicklung der Gespenstergeschichte aus literaturwissenschaftlicher Perspektive beschäftigen wollen, bietet es also einen umfassenden Überblick.
Die Lesbarkeit des Buches ist trotz seines akademischen Charakters durchaus zugänglich. (Ehemalige) Studenten werden den Text nicht ungewöhnlich finden, doch auch Leser, die keine Erfahrung mit wissenschaftlichen Arbeiten haben, dürften in der Lage sein, dem Buch zu folgen. Dabei ist jedoch klarzustellen, dass das Werk keine „Gruselgeschichten“ präsentiert, sondern eine analytische und wissenschaftliche Aufarbeitung des Themas darstellt. Wer also auf spannende Erzählungen oder schaurige Lektüre aus ist, wird hier nicht fündig.
Die Struktur des Buches ist typisch für eine solche Facharbeit: Es beginnt mit einer theoretischen Einführung, in der wichtige Begriffe und Konzepte definiert werden. Für jemanden, der sich noch nicht mit dem Thema beschäftigt hat, bietet dies eine gute Grundlage. Die eigentliche Auseinandersetzung mit der Gespenstergeschichte erfolgt dann in einem klaren, übersichtlichen Aufbau, der durch die Epochen führt. Dies macht das Buch besonders wertvoll für Leser, die das Motiv des Gespenstes im Kontext historischer und gesellschaftlicher Entwicklungen verstehen möchten oder sich mit einer bestimmten Epoche auseinandersetzen möchten.
Das Buch konzentriert sich dabei auf das Motiv des Gespenstes, nicht auf tiefgehende Analysen einzelner Werke. Das bedeutet, dass es nicht zwingend erforderlich ist, die besprochenen Werke vorher gelesen zu haben. Dies macht das Werk zugänglicher, auch für Leser, die sich nicht intensiv mit der deutschen Literaturgeschichte beschäftigt haben, aber dennoch ein Interesse an der Entwicklung des Gespenstermotivs haben.
Fazit
Die deutsche Gespenstergeschichte ist ein fundiertes Fachbuch, das sowohl für Literaturinteressierte als auch für diejenigen geeignet ist, die eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Entwicklung der Gespenstergeschichte suchen. Obwohl der Text aufgrund seiner wissenschaftlichen Ausrichtung nicht unbedingt für schnelle Unterhaltung gedacht ist, bleibt er dank seiner klaren Struktur und verständlichen Sprache auch für ein breiteres Publikum zugänglich.
Buchtitel: Die deutsche Gespenstergeschichte: Motiv, Form, Entwicklung
Autor: Gero von Wilpert
Verlag: Kröner Verlag
Buchseiten: 479 Seiten
ISBN-13: 978-3520406019