Ein Fischwesen auf zwei Beinen.
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Sex mit großen, schleimigen Monstern

Alan Moore nutzt H.P. Lovecrafts Cthulhu-Mythos, um in der beim Panini Verlag  2011 erschienenen Graphic Novelle Neonomicon eine mysteriöse und erotische FBI-Geschichte zu inszenieren.

Cthulhu in der Moderne

Wir schreiben das Jahr 2014: Aldo Sax arbeitet undercover an einem Fall, in dem unbekannte Täter ihre Opfer tulpenartig aufschneiden und Gliedmaßen entfernen, während diese noch leben. Er versucht mithilfe der Anomalie-Theorie den grausamen Tätern auf die Schliche zu kommen. So besucht er den Club Zothique, in der die Band “The Ulthar Cats” des Öfteren auftritt. Seine Spur führt in zu Johnny Carcosa, einen Dealer für Aklo, der mit einem Sprachfehler (statt s sagt er f) und ungewöhnlichen Kleidungsstil außergewöhnlich erscheint. Er führt Aldo in eine neue Welt und ein neues Leben ein. Nach einem Zeitsprung befinden wir uns bei der eigentlichen Protagonistin Merril Breaers, die sich mit ihrem Partner Gordon Lamper um die neuen tulpenförmig aufgeschnittenen Leichen kümmern soll und dabei unweigerlich in etwas reinrutscht (oder etwas in sie), was sie nie vergessen wird.

Vulgäre Sprache und viel Sex

Leider lassen sich hier keine Spoiler vermeiden. Daher hier eine ausdrückliche Spoiler Warnung! Bereits im Vorwort weist Alan Moore daraufhin, dass es seiner Meinung nach in H.P. Lovecrafts Geschichten immer nur um Sex ging, ersterer jedoch zu prüde gewesen wäre, dies offen auszulegen. Eine Auffassung, die ich nicht gänzlich teile (natürlich müssen diese Mischwesen irgendwo herkommen) doch vorerst weiter im Text. Abseits der Erwähnung Alan Moores über dringend zu begleichende Steuernachzahlung ist die Hauptaussage des Vorworts wohl folgende:

“Lovecraft war in sexueller Hinsicht überempfindlich, er sprach nur von ‘gewissen, namenlosen Ritualen’, die er auch gern euphemistisch als ‘blasphemische Rituale’ umschrieb. Da es in vielen seiner Geschichten um nicht menschliche Nachkommen solch ‘blasphemischer Rituale’ ging, musste es irgendwann einmal Sex gegeben haben. Aber das tauchte bei Lovecraft nicht auf, höchstens als eine Art Unterströmung. Darum dachte ich mir, wir nehmen den ganzen unerfreulichen rassistischen Kram wieder herein, und auch den Sex. Und dann sehen wir uns einige dieser Rituale konkret an.”

Moore, Alan: Neonomicon. S.

Bei dem Rassismus stutze ich ehrlich gesagt ein wenig, da Lovecraft seine Einstellung in seinen späteren Lebensjahren sicherlich nicht umsonst änderte. Doch nun gut, ich nahm es erstmal so hin, war ich doch auf die Darstellung jener Rituale gespannt und ob ihr bildliche Umsetzung genauso kraftvoll sein würden wie die nicht erwähnten, unterschwelligen Andeutung Lovecrafts, die – um die Worte des Comics zu nutzen – einen Gewittersturm im Kopf auslösen konnten. Der Comic beginnt düster, Aldo Sax’ Wortwahl ist rau und direkt, während er einen inneren Monolog führt. Es passt nicht nur zum Charakter, sondern erinnert auch an die alten Detektiv-Schinken in schwarzweiß, in denen ein rauchender Kommissar über sein schlechtes Leben philosophiert. Doch nicht nur Aldo Sax legt diesen Ton an den Tag. Jeder Charakter scheint sein Vokabular dem gleichen kargen Wörterbuch entnommen zu haben. Auch die Gesprächsthemen verlieren nach Aldo Sax’ interessanter Theorie an Tiefe, bis sie gänzlich eintönig erscheinen. Redet Merril mal nicht über ihren Fall, dann über – wie sie es sagt – ihre “Möse”. Mal klagt sie nun über Schmerzen, mal über Feuchtigkeit. Etwas anderes vermag ihr offenkundig kaum in den Sinn zu kommen. Dabei scheint es völlig irrelevant, mit wem sie diese Sorgen gerade teilt. Quasi als Entschuldigung scheinen ihre erste Sätze im Comic zu gelten, in der sie offen mit ihrem Partner (und vor Mitarbeitern) über ihre Sexsucht redet, die angeblich therapiert wurde. Doch leider vermag ich die gute Frau nicht allzu ernst nehmen, wenn sie dem so eben noch übers Wasser schreitende Nyarlathotep erzählt, dass sie eine Hure wäre, weil sie schon wieder feucht ist. Nyarlathotep scheint unglaublicherweise noch der normalste Charakter im bestehenden Ensemble zu sein, der eine gewisse Höflichkeit an den Tag legt und somit recht schnell zur Sympathiefigur werden kann.

Doch nicht nur Nyarlathotep findet in neuer Gestalt Erwähnung. So existiert auch ein Möchtegern-Kult, der sich zu nächtlichen Orgien mit einem Fischwesen trifft. Die Protagonistin wird Opfer des Kults und mehrfach vergewaltigt, sowohl von den Kultisten, wenn man diese denn so nennen mag, als auch achtmal von dem Wesen. Der groß angekündigte Sex mit Fischwesen fällt jedoch recht milde aus. Von diesen angeblich acht Vergehen sehen wir eine Sexszene, eine weitere wird angedeutet. Beide Szenen empfand ich aus der Sicht des Fischwesens fast schon “liebevoll”, denn die szenische Umsetzung vorangegangenen Vergewaltigungsorgien mit den Menschen empfand ich durch die sadistische und bewusste Vergewaltigung als Folter deutlich abstoßender.

Loben möchte ich hier die grafische Darstellung der nackten Körper. Auch wenn hier das Klischee bedient wird, dass die Protagonisten schön und die Bösen unansehnlich sind, schafft es Jacen Burrows unterschiedliche Körpertypen verschiedenen Alters gut in Szene zu setzen. Dies betrifft jedoch zum Großteil nur die Nacktszenen, denn bei bekleideten Personen wirken die Körperteile von der Größe her teils falsch proportioniert, zumal Gesichter eingefroren bzw. recht starr sind. Die Coloration ist auf einigen Seiten ebenfalls geradezu mangelhaft und hätte mehr Liebe zum Detail verdient.

Dafür sind die Wesenheiten sehr schön gestaltet, auch wenn in meiner Vorstellung die Fischwesen nie so ansehnlich waren. Interessant war der Gebrauch von der lovecraftischen Sprache, auch wenn es hie und da ein wenig zu viel des Guten war. Dass Merril sogar auf Anhieb einen Satz in dieser Sprache aus einem Werk zitieren kann, wirkt dann doch sehr unglaubwürdig. Auch das Ganze Undercover-Ding von Merril und Gordon sah für mich sehr amateurhaft aus und hätte nur noch durch ein Leuchtreklame-Schild an Auffälligkeit gewinnen können.

Zu guter Letzt noch die Anmerkung im Comic, dass alle Wesen von Lovecraft wie laufende Geschlechtsorgane aussehen, halte ich für absurd. Ja, Tentakeln finden jeher auch in sexueller Darstellung vermehrt Anwendung, doch denke ich, dass Cthulhu den Kopf eines Polypen hat, weil es lauernde Räuber der Tiefe sind, die nicht aktiv jagen, sondern geduldig warten. Daher erinnert mich der krampfhafte Versuch des Comics, in jedes Detail von Lovecrafts Welt Sex hineinzuinterpretieren, an eine überhöhte freudsche Analyse, die spätestens in dem Moment scheitert, als die einzige Person, die nicht sexbesessen durch diese illustre Welt läuft, einen regelrechten Ekel vor solcherlei Dingen hat. Ist es denn so schwer, eine Figur zu definieren, die weder sexgeil ist noch Angst vor Geschlechtsverkehr hat, sondern den Austausch von Intimitäten einfach als etwas Normales und Natürliches ansieht?

Fazit

Neonomicon ist ein rauer und sexuell überladener Comic, der sich zwar an  Lovecrafts “Mythologie” bedient, dessen Atmosphäre jedoch nicht mal im Ansatz umsetzen kann und dies vermutlich auch gar nicht will. Der groß angekündigte Sex mit schleimigen Monstern nimmt einen so kleinen Raum ein, dass es für mich gerade zu lächerlich war, dies als Werbeslogan auf der Rückseite zu nutzen.

Neonomicon
Verlag: Panini
Autor: Alan Moore
Illustrator: Jacen Burrows
Seiten: 144

Dieser Artikel wurde bereits am 9. November 2016 auf der Seite von NonPlayableCharacters veröffentlicht.

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