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Der Cthulhu-Mythos: Ein Überblick

Es besteht kein Zweifel daran, dass der sogenannte Cthulhu-Mythos inzwischen mehr oder minder sichtbar Einzug in unsere heutige Popkultur gehalten hat. Aktuellere Rezeptionen reichen dabei von versteckten Anspielungen kosmischen Horrors in publikumswirksamen Kinofilmen über einschlägige Gesellschaftsspiele im Mystery-Look bis hin zu knuffigen Tintenfischdrachen auf unserer morgendlichen Cornflakes-Packung. Der Wahnsinn!

Doch was hat es mit dem vermeintlichen Mythos auf sich? Was macht seinen Reiz aus? Und wo kommt er eigentlich her? Diesen Fragen möchten wir mit euch nach und nach auf den Grund gehen.

„Ich glaube, die größte Barmherzigkeit dieser Welt ist die Unfähigkeit des menschlichen Verstandes, alles sinnvoll zueinander in Beziehung zu setzen. Wir leben auf einer friedlichen Insel der Ahnungslosigkeit inmitten schwarzer Meere der Unendlichkeit, und es war nicht vorgesehen, dass wir diese Gewässer weit befahren sollten.“


H.P. Lovecraft, Der Ruf des Cthulhu, in: F. Festa (Hrsg.), Namenlose Kulte, H.P. Lovecrafts Bibliothek des Schrecken, Bd. 18, Leipzig 2006, S.7 [Übersetzung: A. Diesel, F. Festa]

Das cthulhoide Paradigma

Der Cthulhu-Mythos ist zunächst einmal entgegen seiner Bezeichnung tatsächlich keine historisch überkommene Überlieferung aus grauer Vorzeit, wenngleich er sich zuweilen in ein solches Gewand kleidet und das (für die betroffenen Menschen immer nachteilige) Wirken gottgleicher Wesenheiten unbekannten Ursprungs thematisiert. Vielmehr handelt es sich in seiner ursprünglichen Fassung um eine Anthologie angsteinflößender Erzählungen miteinander wiederkehrenden Orten, Gegenständen und Charakteren, die auf das literarische Schaffen Howard Phillips Lovecrafts (1890 – 1937) zurückgehen.

So spielen viele seiner Geschichten in und um Arkham, einem fiktiven Städtchen im zeitgenössischen Neuengland der 1920er und 1930er. Hier kehren die Protagonisten zuweilen in die Miskatonic-Universität ein, um beispielsweise unerklärlichen Phänomenen durch die Lektüre äußerst seltener Bücher wie dem Necronomicon auf die Schliche zu kommen, oder um sich infolge schicksalshafter Verstrickungen vom weitsichtigen Dr. Henry Armitage Hilfe zu erhoffen.

Im Mittelpunkt steht dabei häufig der zunehmende, geistige Verfall der jeweiligen Protagonisten oder ihnen nahestehender Personen, je erfolgreicher sie mitunter weit verstreute Puzzle-Teile zusammenfügen können, um eine schreckliche Wahrheit in Erfahrung zu bringen. Denn selbst der rationalste Verstand droht irgendwann zu zerbrechen, wenn Wissenschaft, Logik und traditionelle Werte bei jenem Versuch versagen, bevorstehendes oder bereits erlebtes Grauen zu verarbeiten…

Der kosmische Horror

Lovecrafts ursprünglichen Werken liegt dabei die Idee zugrunde, dass wir Menschen uns zwar die uns bekannte Erfahrungswelt ganzheitlich zu Nutze machen (und inzwischen sogar kühn nach den Sternen greifen), aber bisher eigentlich eher unbemerkt im Fahrwasser ungeahnt furchtbarer und bisweilen titanischer Wesenheiten mitschwimmen, deren bloßes Antlitz das Fassungsvermögen unseres Geistes bei Weitem übersteigt und uns letztlich auch – trotz unserer bisherigen zivilisatorischen Errungenschaften – unsere eigene Macht- und Bedeutungslosigkeit vor Augen führen. Jegliche Versuche, sich diesem Faktum mit rationalen Mitteln anzunähern, würde uns eher früher als später in den schieren Wahnsinn abdriften lassen. Wir sind also nur kleine Fische in einem kosmischen Haifischbecken.

So lässt sich beispielsweise den verschiedenen Mythos-Geschichten entnehmen, dass der große Cthulhu mit seinen Sternengezüchten vor Jahrmillionen auf die Erde kam, als diese noch jung und von der Alten Rasse bevölkert wurde. Daraufhin entfachte ein unerbittlicher Krieg, den die Alte Rasse zwar letztlich für sich entscheiden konnte, sich aber zunehmend in die größte ihrer Städte zurückzog, die heute noch unter Tonnen von Eis in der Antarktis begraben liegt. Cthulhu selbst wurde mit seinen Dienern nach R’lyeh zurückgetrieben, das daraufhin im heutigen Pazifischen Ozean versank. Dort schlummert der tote Gott mit Seinesgleichen noch immer, bis „die Sterne richtig stehen“ und sein erneutes Erwachen den Untergang der Menschheit einläutet.

Doch neben Cthulhu durchstreifen hin und wieder noch andere ‚Große Alte‘ oder deren Unheil bringenden Diener die Welt der Sterblichen: Nyarlathotep, das kriechende Chaos, mit seinen 999 Masken bzw. unzähligen Erscheinungsformen mischt sich allzu oft unter die Menschen, um gezielt Chaos zu schüren. Shub-Niggurath, die schwarze Ziege der Wälder mit den tausend Jungen, wird im Verborgenen von grotesken Kulten verehrt, bringt ihre fruchtbare Muttermilch doch Macht und Verderbnis gleichermaßen. Auch dem schleierhaften König in Gelb, der eigentlich am verfluchten Hofe Carcosas residiert, gelingt es zuweilen ebenfalls, seinen Einfluss in Form von Dekadenz und Siechtum in unsere Reihen zu streuen.

Doch sie alle stehen hinter einem zurück: Azathoth, der geistlose Dämonensultan, ist die Manifestation blinder Zerstörungswut. Er existierte schon vor Anbeginn der Zeit und wird noch immer da sein, wenn der Menschheit letztes Licht erloschen ist. Als gewaltige Entität befindet er sich im Zentrum des Universums und wird vom Flötenspiel der ihn umringenden Äußeren  Götter besänftigt. Zumindest für den Moment.

Der „Lovecraft-Zirkel“

Den in Providence, Rhode Island, geborenen Howard Philips Lovecraft ereilten mit dem verfrühten Tod seines Vaters und dem bitterlichen Verarmen seiner Familie schon in jungen Jahren herbe Schicksalsschläge und infolgedessen auch nervliche Grenzerfahrungen, die ihn tatsächlich nie das College beenden ließen. Doch durch seine spätere Mitgliedschaft in der United Amateur Press Association (UAPA), einer Vereinigung amerikanischer Hobbyautoren, bekam sein Leben wieder neuen Schwung: Er begann, ein ausgedehntes Netzwerk an brieflichen Korrespondenzen mit gleichgesinnten Schreiberlingen wie Robert Bloch (späterer Autor von Psycho) und Robert E. Howard (Schöpfer von Conan der Barbar) aufzubauen und an seinen ersten Kurzgeschichten zu arbeiten, die später im Pulp-Magazin Weird Tales veröffentlicht werden sollten.

Nach dem schmerzlichen Tod seiner psychisch labilen Mutter und einer missglückten Ehe mit der ungarischen Jüdin Sonia Greene samt zweijährigen Aufenthalt in New York kehrte Lovecraft wieder nach Providence zurück. Wenngleich er bis zu seinem Tode dem Leben in Armut nicht zu entkommen vermochte, gilt diese Zeit fortan als Lovecrafts bedeutendste literarische Schaffensphase. Abseits seiner gelegentlichen Tätigkeiten als Ghostwriter und Lektor tauschte er sich in zahllosen Briefen intensiv über seine fiktiven Kreationen und die seiner fernen Freundschaften aus. So gehörte beispielsweise Frank Belknap Long zu den ersten, die Lovecrafts sagenumwobenes Necronomicon des verrückten Arabers AL Hazred in eigene Erzählungen integrierten. Aber auch Lovecraft nahm seinerseits Anregungen seines Freundeskreises auf: Clark Ashton Smiths Hyperborea findet Erwähnung und Robert E. Howard steuert das gefürchtete Buch Von unaussprechlichen Kulten bei.

Der leider zu Lebzeiten niemals zu Ruhm gekommene Lovecraft verzichtete mit seinem Tod auf jegliche Besitzansprüche seiner Kreationen. Doch war es erst August Derleth, der die teils noch unpublizierten Arbeiten des seiner Zeit allzu selbstkritischen Autors aus Providence unter dem Namen Cthulhu-Mythos postum veröffentlichte und dem verkannten Genie zu Anerkennung verhalf.

Da die Marke gemeinfrei ist, werden Cthulhu und all die anderen Wesenheiten kosmischen Horrors damals wie heute von zum Teil recht talentierten Autoren wie Ramsey Campbell aufgegriffen und geflissentlich ergänzt. In der Konsequenz nimmt das Pantheon an gottgleichen Verdammnisbringern samt abartiger Dienerschaften und verborgener Kulte stetig zu, während uns knuffige Tintenfischdrachen auf unseren morgendlichen Cornflakes-Packungen in falscher Sicherheit wiegen…

FunFact: Lovecraft verabscheute Fische und Meeresfrüchte.

Das Beitragsbild stammt von der Seite Pixaby.

7 Kommentare zu „Der Cthulhu-Mythos: Ein Überblick“

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