Blackwoods Werk Das leere Haus und andere Bücher
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Auf den zweiten Blick: Blackwood

Auf der Anrufung 2019, der hauseigenen Cthulhu Convention der Deutschen Lovecraft Gesellschaft, drückte mir eine arme Seele, deren Schicksal dem meinigen nicht unähnlich war, unverhofft ein vergilbtes Büchlein in die Hand: „Literarisch, lovecrafteresk, lesenswert!“ In der Zuversicht, es irgendwann  einmal genauer anzuschauen, begrub ich es einem altertümlichem Relikt gleichend tief in meiner Reisetasche, auf dass es meine Lesehöhle sicher erreichen werde.

Vor kurzem nahm ich das etwas in die Jahre gekommene Taschenbuch tatsächlich wieder in die Hand. In angegrauten Lettern auf schwarzem Grund stand auf dem Cover „Blackwood. Das leere Haus„. Weder kannte ich den Autoren, noch sagte mir der Titel irgendetwas. Das schmucklos auf der Front platzierte Abbild einer verfallenen Bretterbude unterstrich das trostlose Erscheinungsbild jener Printausgabe: abgegriffener Einband, vergilbte Seiten, händisch bekritzelter Stempel im Inlay. Kurzum: bemitleidenswert.

Ein Blick ins Inhaltsverzeichnis verriet mir, dass es sich um eine kleine Sammlung ausgewählter Kurzgeschichten handelte. Erwartungsgemäß stand Das leere Haus zuoberst, gefolgt von Der Wendigo. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Algernon Blackwood (1869-1951) begegnete mir bereits in meinen Recherchen zum Wendigo. War er doch einer der ersten, der diesen Sagenstoff literarisch verarbeitete. Letztlich hätte wohl auch ein Blick auf die Rückseite des Büchleins gereicht, um mein Interesse vollends zu wecken:

„Algernon Blackwood ist der absolute und unbestrittene Meister der unheimlich-übernatürlichen Atmosphäre, und seine Werke rufen die ehrfürchtige Überzeugung hervor, dass wir von fremdartigen spirituellen Sphären oder Wesen umgeben sind.“

H.P. Lovecraft

Das leere Haus

Entsprechend erwartungsvoll nahm ich mir die titelgebende Kurzgeschichte Das Leere Haus vor. Schon sein mahnender Appell zu Beginn der Geschichte vereinnahmte mich vollends: Es gäbe da wohl Häuser, derer nicht nur Schauplatz lichtscheuer und verrufener Taten seien, sondern derer auch der Besessenheit sündhafter Täter und ihrer entsetzten Opfer anheimfallen, auf das jenes Grauen in ihnen fortleben möge. Und so hielt man es auch mit jenem heruntergekommenen Gebäude an der Ecke des Platzes, dass in der Vergangenheit allzu oft seine Bewohnerschaft gewechselt hatte, bis niemand mehr dort wohnen wollte.

Die daran anknüpfende Handlung ist schnell erzählt: Jim Shorthouse wurde von seiner Tante Julia, einer rüstigen Dame höheren Alters, nur zu einem Zweck eingeladen. Gemeinsam wollten sie des Nachts den Spuk jenes alten Gemäuers erkunden, in dem einst eine junge Magd gewaltsam zu Tode kam …

Nach heutigen Maßstäben mag es der 1906 erstmals publizierten Kurzgeschichte vielleicht an innovativen Story-Elementen mangeln. Aber gerade der atmosphärische Tiefgang mittels wortgewandter und schwungvoller Formulierungen ließ mein Leserherz höher schlagen, zumal der Sprachstil längst vergangener Tage für mich seinen ganz eigenen Charme mit sich bringt.

Ohnehin finde ich unter den Neuerscheinungen dieser Tage nur noch selten Schauergeschichten, die mit einem gewissen Maß an Eloquenz stilsicher inszeniert sind und nicht zugunsten gesteigerten Lesetempos an Anspruch einbüßen. Wahrlich bedauerlich.

Fazit

Auf den ersten Blick mögen Bücher, die offenbar durch viele Hände gereicht wurden, ihren Blickfang eingebüßt haben. Abnutzungsspuren sind wohl der un­ver­meid­liche Lohn häufigen Lesens.

Doch wie bei vielen anderen Aspekten im Leben gilt auch hier: Weder ein aufreizendes Cover noch ein makelloser Buchrücken bestimmt den inhaltlichen Wert eines Werkes. Nehmt Euch die Zeit, in ihm zu blättern und zu lesen, um es kennenzulernen. Nehmt Euch die Zeit, es eines zweiten, genaueren Blickes zu würdigen.

Ich für meinen Teil hatte das Glück, über ein unscheinbares Taschenbuch einen neuen alten Künstler für mich zu entdecken. Gern mehr davon!

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