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Der Werwolf (II)

Wer kennt ihn nicht? Eine vermeintlich unscheinbare Person, die sich im Angesicht des Vollmonds in eine reißende Bestie verwandelt und über all jene herfällt, die ihren Weg kreuzen. Neben Vampiren und Zombies gehört der Werwolf zweifellos zu den am häufigsten rezipierten Wesenheiten des klassischen Horrors, ist aber inzwischen auch aus zahllosen Fantasy-Settings nicht mehr wegzudenken.

Doch warum ist das überhaupt so? In unserem zweiten Teil zum Werwolf überblicken wir die frühen wissenschaftlichen Erklärungsansätze auf Basis jener historischen Überlieferungen und skizzieren schließlich den Einzug des Werwolfs in die moderne Popkultur.

Erste medizinische Erklärungsversuche

Mit dem fortschreitenden Erkenntnisgewinn in der Allgemeinmedizin begann man letztlich, sich zunehmend von den christlich geprägten Glaubensvorstellungen zu lösen, um sich dem Phänomen der Lykanthropie wissenschaftlich anzunähern.

So wurde beispielsweise das im 17. Jh. erstmals beschriebene Phänomen der starken Überbehaarung (Hypertrichose), welche nach heutigem Stand meist auf genetische Ursachen zurückzuführen ist, mit dem Werwolf-Mythos in Beziehung gesetzt: Betroffene wie beispielsweise Pedro Gonsalvus (1537-1618) und seine Tochter, früher zuweilen auch als „Wolfsmenschen“ bezeichnet, waren in vielen Fällen der Schaulust ihrer Umgebung ausgesetzt, sei es nun in Zirkussen oder an königlichen Akademien. Daher ist zu vermuten, dass viele sich nur nachts aus dem Haus wagten (oder hinausgelassen wurden), sodass sie nur in klaren Nächten, beispielsweise bei vollem Mond, in der unmittelbaren Nachbarschaft überhaupt wahrgenommen wurden oder als abseitige Außenseiter am Rande der Gesellschaft dahinvegetieren mussten und so einen eher zweifelhaften Ruf generierten.

Ein ähnliches Schicksal mussten wohl auch jene Menschen erdulden, die an Porphyrie litten. Die meist angeborene Stoffwechselerkrankung zeigt sich in einer gesteigerten Lichtempfindlichkeit der Haut, die bei Kontakt mit Sonnenlicht Blasen wirft oder sich anderweitig schadhaft verändert.

Ebenso seien wohl an Tollwut Erkrankte früher für Werwölfe gehalten worden, da hier die Infektion häufig durch den Biss eines Tieres erfolgte. Die daraus resultierenden Krankheitssymptome in Form irrationalen Verhaltens decken sich mit einigen überlieferten Beschreibungen von Werwölfen: Anfälle, bei denen der Erkrankte wild um sich zu beißen beginnt, und Angst vor Wasser bei gleichzeitig starkem Durst, was zu spastischen Schluckkrämpfen führen kann.

Berichte über Menschen mit animalischen Verhaltensauffälligkeiten wie dem Heulen oder dem Fortbewegen auf allen Vieren, die ebenfalls an Wölfe erinnern, werden oftmals als Schilderungen von  individuellen Psychosen verstanden.

In diesem Sinne wurde von Medizinern wie Rudolf Leubuscher (Über die Werwölfe und Tierverwandlungen im Mittelalter, Berlin 1850) und Volkskundlern wie Richard Andree im 19. Jh. vergebens versucht, in den bis dato dokumentierten Darstellungen des Werwolfs ein genau umrissenes Krankheitsbild herauszufiltern.

Nichtsdestotrotz verstand man die Lykanthropie gemeinhin als Krankheit, deren verschiedene körperliche und psychische Symptome dazu führten, dass Betroffene eine wie auch immer geartete gesellschaftliche Ächtung erfuhren.

Mediale Ausprägung in der Moderne

Den ersten Impuls zur fiktionalen Ausgestaltung des Werwolfs als furchteinflößende Bestie ist die 1847 zunächst episodenhaft als Penny Dreadful in der britischen Zeitung erschienene Novelle Wagner, the Wehr-Wolf. In ihr thematisiert George William MacArthur Reynolds, wie seine Titelfigur, der altersschwache Hirte Fernand Wagner, einen Pakt mit dem Teufel eingeht. Im Austausch für ewige Jugend, Intelligenz und Reichtum verwandelt er sich am jeweils letzten Tag des Monats in einen rasenden Werwolf. Reynolds bedient sich der zeitgenössischen Folkore zum Werwolf-Mythos: Teufelsverbundenheit und Kontrollverlust.

Den Grundstein für den modernen Werwolf-Mythos legt schließlich der 1941 erschienene, US-amerikanischer Horrorfilm Der Wolfsmensch (englisch: The Wolf Man), in dem der erst kürzlich in seine Heimat zurückgekehrte Lawrence Talbot bei einem Spaziergang von einem Wolf gebissen wird und sich fortan des Nachts in eine mordende Kreatur verwandelt. Im Gegensatz zur bis dato gängigen Folklore verwandelt sich der Protagonist jedoch nicht in einen vollständigen Wolf, sondern vielmehr in einen stark behaarten Hybriden mit scharfen Reißzähnen und Klauen, die zum Töten taugen. Zudem finden sich weitere Stilmittel, die den sich daraus etablierenden Kanon zum Werwolf weiter definieren sollten: Der Biss eines Werwolfs infiziert sein Opfer; nur Silber könne einen Werwolf töten. Im Übrigen ist Der Wolfsmensch der einzige Werwolf-Film von Universal, in dem der Vollmond nicht ein einziges Mal zu sehen ist. Der Auslöser für die Verwandlung ist hier nämlich das Blühen der Wolfsblume.

Neue Maßstäbe setzte 1981 schließlich der Action-Horrorfilm American Werewolf bzw. (An american Werwolf in London) mit seinen seiner Zeit recht spektakulär inszenierten Verwandlungen von gewöhnlich anmutenden Menschen in vor Kraft strotzende, wolfsähnliche Monster, die wahrlich alles in Stücke reißen, was sich ihnen in den Weg stellt. Die gängigen Tropes vom Werwolfbiss über den Vollmond bis zum verwundenen Silber waren alle dabei. Dem medialen Siegeszug des Werwolfs stand nun, insbesondere im Horror-Genre nichts mehr im Weg.

Doch letztlich fällt auch diese seit nun mehr eintausend Jahren gefürchtete Sagengestalt abseits klassischer Horrorfilme der kommerziellen Erschließung und Vermarktung für alle Atersgruppen zum Opfer: Der Werwolf gesellt sich fortan als plüschiger Naturbursche direkt neben den Glitzervampir. Ich weiß schon längst nicht mehr, welches dieser Schicksale das grausamere ist…

Das Titelbild stammt von Yuri_B auf Pixabay.

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