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S.O.S. Emma – Ein ViewScream Spektakel

Jüngst durfte ich endlich auch einmal ViewScream ausprobieren, ein WebCam basiertes Erzählspiel mit Horror-Elementen. Gespielt haben wir zu viert das in der zweiten Edition beiliegende Szenario „The Call of Kullat Nunu“. Und wie es mir und meinem Alter Ego, dem Techniker, dabei ergangen ist, erfahrt ihr hier!

„Dies ist eine Subraum-Nachricht … sind an Bord des Wissenschaftsschiffs CSS Emma … schwere Fehlfunktion. Unser biomechanisches Schiff … symbiotisch mit mehreren Besatzungsmitgliedern … ihre Körper übernommen und … über 100 Seelen verloren … Kapitän Johansen, alle Führungsoffiziere und die meisten … Einige sind tot, andere werden …  Wir sind nur noch zu viert, unsere Chancen … gering … Hilfe.“

Notsignal der CSS Emma

Und los geht’s!

Erst einmal erdrückende Stille … Endlich geht einer der vier Kamerascreens an: Ein sorgenvolles Gesicht ist auf der Kommandobrücke (Spielleitung) zu sehen. Dann echot es über alle internen Kommunikationskanäle: „Bitte um Status-Update. Gibt es noch irgendwo Überlebende? Ist da draußen noch jemand? Hallo? Status-Update … Bitteee!“ Dann wieder Stille.

Ein weiterer Screen geht an. Die Medic (SC) meldet sich aus einem Kryostase-Bereich des Raumschiffs. Eingesperrt, aber ansonsten wohlauf. Gott sei Dank. Allerdings berichtet sie von seltsamen Bewegungen ehemaliger Besatzungsmitglieder im benachbarten Lagerraum, die sie auf ihren Displays sieht. Sie verfolgt das weiter. Dann wieder Stille.

Ein weiterer Screen etabliert sich aus dem Labor: Die Chirurgin (SC) ist wieder zu sich gekommen. Blut strömt ihr aus der Nase. Die Toxizität der dortigen Atemluft scheint wohl zugenommen zu haben. Doch sie ist noch am Leben. Immerhin! Sie versucht, das Problem in den Griff zu bekommen. Dann wieder Stille.

Zu guter Letzt zuckt ein vierter Screen: In Schieflage kauert ein Techniker (SC) beim Hypertube-Knotenpunkt flüsternd in einer Ecke, denn auf der anderen Seite des Sicherheitsschotts scheint sich etwas Großes wiederholt gegen das Schleusentor zu drücken. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis der schützende Damm bricht. Dann wieder Stille.

Das neue Brückenkommando in Spé fordert die Überlebenden nun auf, sich zusammenzureißen und irgendwie einander zu helfen, während es selbst den Weg zu den Rettungskapseln frei macht. Jede*r soll dem jeweils anderen helfen, damit hier alle lebend rauskommen. Eigentlich ein guter Plan …

Die Lage eskaliert!

Da die Situation unserer Chirurgin im Labor am dringlichsten scheint, wird sofort die Medic angefunkt. Unter ihrer Anleitung soll vor Ort ein Gegengift für die toxische Atemluft synthetisiert werden. Im Gegenzug hofft die Chirurgin, mithilfe der Laborreserven ein Reizgas zu mischen, das unweit des Hypertube-Knotenpunkts eingeleitet wird und somit das Ding auf meiner Türschwelle vertreibt. Etwas zuversichtlicher kann ich mir dann die Zeit nehmen, unserer Medic Tipps zu geben, wie sie ihre internen Scanner rekalibrieren kann, um einen detaillierten Einblick in das Treiben unserer ehemaligen Restbesatzung zu erhalten. Alles super Ideen – mit vereinten Kräften schaffen wir das!

Doch schon wenig später die Ernüchterung: Keines der angegangenen Probleme konnte erfolgreich bewältigt werden. Doch damit nicht genug! Unsere Medic berichtet von´… nun ja … rituellen Handlungen besagter Individuen. Es seien sogar Sprechgesänge zu hören. Im Labor tritt derweil Radioaktivität aus und auf der Brücke wird der Sauerstoff knapp.

Und bei mir im Hypertube-Bereich? Im Augenwinkel habe ich unlängst bemerkt, dass in den Schatten wohl etwas Fremdartiges kreucht und fleucht. Ich bin zweifelsohne nicht (mehr) allein hier unten. Wir sollten uns allesamt definitiv ganz schnell etwas Sinnvolles einfallen lassen. Die Zeit rennt uns davon …

Die Chirurgin vergiftet und verstrahlt, die Medic dem Wahnsinn nahe, der Techniker blutüberströmt, das Brückenkommando unter Atemnot (Fotos ©Chris H.)

Zum Spielsystem

ViewScream kommt als regelarmes Erzählspiel daher, das frei von Zufallsmechaniken (wie beispielsweise Würfelwürfe oder das Ziehen von Spielkarten) ist. Dementsprechend haben die Spielenden zu jeder Zeit die vollste Kontrolle über ihre Entscheidungen und auch die daraus resultierenden Konsequenzen.

Hierfür ist jeder spielbare Charakter (SC), der durch das jeweilige Szenario vorgegeben ist, mit zwei durch ihn zu konfrontierenden Problemen und drei separaten Lösungsansätzen ausgestattet. Der Clou ist dabei, dass man zwar die eigenen Probleme anspielen muss, die eigenen Lösungsansätze aber nur für die Mitspielenden bzw. die anderen SC nutzen kann. Somit entsteht das gemeinsame Spiel durch das Thematisieren eigener Probleme, auf das andere eine hoffentlich passende Lösung bereithalten. Besonders fies: Nicht jeder zur Verfügung stehende Lösungsansatz ist wissentlich auch von Erfolg gekrönt.

Um nun der eigenen Bedrohungslage vollends zu entkommen, müssen jeweils beide charakterimmanenten Probleme von anderen erfolgreich gelöst werden. Allerdings reichen die erfolgversprechenden Lösungsansätze nicht für alle im gemeinsamen Spiel existieren Probleme aus. Ergo wird jemand zurückbleiben müssen. Dramatik ist also vorprogrammiert.

Zur Inszenierung

Prinzipiell lässt sich ViewScream ohne viel Schnickschnack in geselliger Runde am eigenen Küchentisch (oder wo auch immer) spielen. Aber wirklich profitieren tut das System und die Spielenden vom Onlinespiel via WebCam. Gerade über die Handhabe der eigenen Kamera (Verwackeln, Wechseln der Perspektive, An- und Ausschalten etc.) lassen technische Schwierigkeiten und Bewegungen simulieren und unterstreichen somit die allgemeine Bedrohungslage. Passende Kamerahintergründe unterstützen dabei die Immersion merklich.

Außerdem hat man in den eigenen Kamerapausen, wenn gerade andere miteinander agieren, genügend Zeit, für ein paar Spezialeffekte zu sorgen, bevor die eigene Kamera dann wieder einzuschalten ist. Kunstblut oder Ketchup im Gesicht, nasses Haar, Atemmaske, farbiges Licht – schon mit einfachen Mitteln lassen sich überraschenderweise spektakuläre Effekte erzielen.

Übrigens haben wir uns nach einigem disfunktionalem hin und her der Technik für Google Team im Chrome Browser entschieden. Da funktionierte alles reibungslos, kostenlos.

Mein Eindruck

ViewScream ist ein gleichermaßen kurzweiliges wie vorbereitungsarmes Spielsystem, das insbesondere online via WebCam sein volles Potenzial entfalten kann. Es eignet sich daher hervorragend für Spielgemeinschaften, die sich über größere Distanzen erstrecken oder aus anderweitigen Gründen einander nicht begegnen können. Allerdings steht und fällt die Intensität des zu erlebenden Szenarios mit dem schauspielerischen Engagement aller Beteiligten.

Ich hatte das planmäßige Glück, mit drei wirklich tollen (und erfahrenen) Mitspielenden interagieren zu dürfen, die sich im Rahmen ihrer Rolle und ihrer zur Verfügung stehenden „Hausmittel“ (Props) richtig reingekniet haben, um alle cineastischen Möglichkeiten auszuschöpfen. Von passenden Outfits über Atemmaske und Lebensmittelfarben bis hin zu emotionsreichem Charakterspiel haben sie aus dem eigentlich nur mäßig auf die einzelnen Spielfiguren abgestimmten Szenarios in unserer zweistündigen Spielzeit das Maximum an Gänsehaut-Feeling rausgeholt.

Kurzum: Die herausragende Performance aller Beteiligten hat das eher mittelprächtige Szenario  „The Call of Kullat Nunu“ zu einem wahrlich erinnerungswürdigen Erlebnis werden lassen. Vielen Dank dafür!

Und wer hat es jetzt eigentlich rausgeschafft?

Medic
Zwar konnte der Geisteszustand der Medic kurzzeitig stabilisiert werden, doch irgendwann stimmte sie lautstark mit in die rituelle Anrufung der ehemaligen Besatzungsmitglieder ein. Sie blieb zurück …
Chirurgin
Zwar konnte das Gift im Labor neutralisiert werden, doch offenbarte die  radioaktive Kontamination letztlich die wahre Natur der Chirurgin. Sie wurde zurückgelassen …
Techniker
Zwar konnte das Ding an der Türschwelle vertrieben werden, doch kämpfte der Techniker gegen das andere Ding vergeblich um sein Leben. Seine Leiche wurde nie geborgen …
Brücke
Zwar unterstütze das neuerliche Brückenkommando, wo es nur konnte, doch verließ es die CSS Emma mit all ihren Geheimnissen notgedrungen allein … 

Titel: ViewScream, 2nd Edition (nur PDF)
Autor: Rafael Chandler
Verlag: Neoplastic Press bei DrivethruRPG
Buchseiten: 56 Seiten (+ Szenarien)
ISBN: ohne

Das Titelbild ist ein Ausschnitt des Buchcovers von ViewScream, 2nd Edition. Alle Bildrechte liegen bei Neoplastic Press.

Marco Schugk

beschäftigt sich nicht nur beruflich mit Kulturen und Kulten vergangener Aonen, um ihnen lang vergessene Geheimnisse zu enhtlocken. In seiner Freizeit schickt er vorzugsweise die MitspielerInnen seiner Rollenspielrunden gern zu den  entlegensten Orten dieser und jeder anderen Welt, bis sie mit reicher Beute zurürckkehren oder dem Wahnsinn anheim fallen... Nungut, Beute gab es bisher irgendwie nie...

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