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Rezension: Carnacki, der Geisterdetektiv

Sherlock Holmes – nur mit übernatürlichen Elementen – wäre wohl der Elevator Pitch zu William Hope Hodgson Erzählungen über Carnacki. Doch sind die neun Geschichten über den Geisterdetektiv genauso spannend und überzeugend wie die Geschichten von Arthur Conan Doyle?

Inhalt von Carnacki, der Geisterdetektiv

Carnacki, der Geisterdetektiv ist eine Sammlung von Geschichten, die sich um die Abenteuer von Thomas Carnacki, einem Ermittler des Übernatürlichen, drehen. In neun Erzählungen begegnet er geisterhaften Phänomenen, seltsamen Monstern und übernatürlichen Bedrohungen, die er mit einer Mischung aus wissenschaftlichen Methoden und okkulten Abwehrtechniken untersucht. Jede Geschichte präsentiert einen Fall, bei dem Carnacki sowohl das Übernatürliche als auch oft sehr irdische Gegebenheiten aufdeckt, was ihm seinen einzigartigen Platz in der Welt der Geisterdetektive verleiht.

Übersicht der Geschichten:

  1. Der unsichtbare Wächter: Ein verfluchter Dolch in einer Kapelle sorgt für Angst und Schrecken. Carnacki enthüllt das Geheimnis hinter einem uralten Fluch und einer Familientragödie.
  2. Die Tür nach drüben: In einem verfluchten Raum lauert ein Monster aus einer fremden Dimension. Carnacki wird in einen lebensgefährlichen Konflikt verwickelt.
  3. Das Haus im Lorbeerdickicht: Blut tropft von der Decke eines verfallenen Hauses. Carnacki versucht, das Geheimnis hinter diesem Spuk zu lösen.
  4. Das pfeifende Zimmer: Eine dämonische Macht hat sich in einer alten Burg manifestiert. Carnacki muss sein gesamtes Arsenal an Schutzzaubern aufbieten, um den Spuk zu bannen.
  5. Unerwünschter Besuch: Ein Spuk in Carnackis eigenem Zuhause führt ihn zu einem alten Geheimnis über verschwundene Schmuggler und geisterhafte Erscheinungen.
  6. Das Geisterpferd: Ein Familienfluch bedroht eine junge Frau. Carnacki entdeckt eine Verschwörung, aber auch echten Spuk, der hinter den Ereignissen steckt.
  7. Der Spuk auf der Jarvee: Ein verfluchtes Schiff erleidet ein schreckliches Schicksal. Carnacki kann das Ende nicht verhindern, aber die Ursache des Spuks erklären.
  8. Der Fund: In einem Londoner Museum taucht eine mysteriöse Kopie eines Manuskripts auf, das in der Vergangenheit großes Aufsehen erregte. Carnacki wird mit dem Geheimnis betraut.
  9. Der Schweinefürst: Eine Kreatur aus einer fremden Dimension hat es auf die Seele eines unglücklichen Mannes abgesehen. Carnacki kämpft gegen die finstere Macht.

Sind die Geschichten unheimlich?

Sigmund Freud definierte das Unheimliche als etwas, das gleichzeitig vertraut und fremd ist, was eine tief sitzende Angst auslöst. Es ist das Gefühl, wenn das Vertraute plötzlich verzerrt oder unnatürlich erscheint und dadurch Verwirrung, Unruhe oder Furcht hervorruft.

In der Zeit, in der Hodgson gelebt hat, also zur späten viktorianischen und frühen modernen Ära, wurden bestimmte Themen und Motive in Literatur und Kunst als unheimlich wahrgenommen. Es gab eine starke Faszination für das Übernatürliche, das Paranormale und das Unerklärliche. Dabei spielten folgende Aspekte eine zentrale Rolle:

  1. Das Übernatürliche: Geister, Dämonen und unerklärliche Phänomene galten als Hauptquellen des Unheimlichen. Die Menschen beschäftigten sich intensiv mit dem Konzept des Lebens nach dem Tod, des Spiritismus und okkulter Praktiken. Autoren wie E. T. A. Hoffmann und später H. P. Lovecraft griffen diese Themen auf und verbanden das Übernatürliche mit psychologischen Ängsten.
  2. Wissenschaftlicher Fortschritt und Angst vor dem Unbekannten: Die rasanten Fortschritte in Wissenschaft und Technologie führten dazu, dass der Mensch immer mehr über seine Umwelt und das Universum lernte, gleichzeitig aber mit der Angst vor dem Unbekannten konfrontiert wurde. Ein prominentes Beispiel ist Mary Shelleys „Frankenstein“, das die Ängste vor der Entgrenzung menschlicher Fähigkeiten und der Wissenschaft reflektiert.
  3. Der Doppelgänger: Das Motiv des Doppelgängers oder des verdoppelten Selbst war ein beliebtes unheimliches Thema. Es vermittelte die Angst vor dem Verlust der Identität oder der Begegnung mit einem verdrehten, bedrohlichen Abbild des eigenen Ichs. Robert Louis Stevensons „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ ist ein Beispiel für diese Thematik.
  4. Psychologische Entdeckungen: Mit der Entstehung der Psychoanalyse durch Freud wurden psychologische Ängste und verdrängte Triebe zu zentralen Elementen des Unheimlichen. Die Idee, dass das Unbewusste mächtige, oft unerwünschte Triebe und Gedanken beherbergt, die unser Verhalten beeinflussen, erzeugte ein Gefühl der Bedrohung und des Kontrollverlustes.

Heutzutage hat sich die Vorstellung von dem, was als unheimlich gilt, im Kontext von Horrorfilmen und -literatur weiterentwickelt. Zwar spielen einige der klassischen Elemente weiterhin eine Rolle, doch es gibt auch moderne Aspekte, die das Unheimliche prägen:

  1. Technologie und künstliche Intelligenz: In der modernen Welt ist die Furcht vor technologischem Fortschritt und dem Verlust der Kontrolle durch Maschinen ein zentrales Thema. Filme wie „Ex Machina“ oder „Black Mirror“ greifen diese Ängste auf. Künstliche Intelligenz und Roboter, die menschenähnlich erscheinen, aber dennoch nicht ganz menschlich sind, lösen Unbehagen aus (sogenanntes „Uncanny Valley“).
  2. Psychologischer Horror: Psychologische Thriller und Horrorwerke, die sich auf innere Konflikte, mentale Instabilität und die Dunkelheit der menschlichen Psyche konzentrieren, sind heute sehr populär. Filme wie „Hereditary“ oder „The Babadook“ zeigen, dass das Unheimliche oft in der psychologischen Zerbrechlichkeit liegt.
  3. Realität und Virtualität: Die Vermischung von Realität und virtuellen Welten hat zu neuen Formen des Unheimlichen geführt. Virtual Reality und die Verschmelzung der physischen mit der digitalen Welt erzeugen das Gefühl, dass man nicht mehr zwischen Realität und Illusion unterscheiden kann.
  4. Körperhorror und Metamorphose: Moderne Horrorwerke thematisieren oft groteske körperliche Transformationen oder Verstümmelungen, die das Körperliche ins Unheimliche überführen. Werke wie „The Fly“ oder „The Human Centipede“ spielen mit der Angst vor dem Verlust der körperlichen Integrität.
  5. Subtile, alltägliche Ängste: Heutige Horrorliteratur und Filme fokussieren sich oft auf subtile, alltägliche Beunruhigungen und die unheimliche Atmosphäre des Alltäglichen. Das scheinbar Normale und Vertraute wird zu einer Quelle des Horrors, indem es leicht verschoben oder verdreht wird, um tief verwurzelte Ängste aufzudecken.
ThemaLebzeit von Hodgson 1877–1918Gegenwart
ÜbernatürlichesGeister, Dämonen, OkkultismusNoch präsent, aber weniger dominierend, oft subtiler
Wissenschaft und TechnologieAngst vor Entdeckung und Fortschritt (z. B. Frankenstein)KI, Roboter, Kontrolle durch Technologie (z. B. „Black Mirror“)
Doppelgänger und IdentitätVerlust der Identität, das gespaltene SelbstVirtuelle Realität, digitale Doppelgänger
Psychologische ÄngsteFreudsche Psychoanalyse, VerdrängungTiefe psychologische Schrecken, mentale Gesundheit
KörperhorrorWeniger prominentKörperliche Transformationen und groteske Deformationen

Die Geschichten von William Hope Hodgson können auch heute noch als unheimlich empfunden werden, weil sie tief verwurzelte, zeitlose Ängste ansprechen. Seine Werke behandeln Themen wie Isolation, das Unbekannte und kosmische Schrecken, die auf universellen Ängsten basieren und auch für moderne Leser relevant bleiben. Während moderne Horrorliteratur oft auf sehr konkrete Bedrohungen setzt, etwa durch explizite Darstellungen von Gewalt oder detaillierte Monstren, kann die Unbestimmtheit in Hodgsons Werk für heutige Leser eine subtilere, aber dennoch wirksame Form des Unheimlichen darstellen. Die Tatsache, dass das Böse oder die Bedrohung nicht klar greifbar ist, lässt Raum für die Fantasie des Lesers, was das Unbehagen verstärken kann.

Auf der anderen Seite könnte ein moderner Leser einige von Hodgsons Werken als weniger unheimlich empfinden, da sie in einem anderen kulturellen und literarischen Kontext verankert sind. Die Sprache und der Stil seiner Werke sind für heutige Leser oft schwer zugänglich, und die langsame Erzählweise kann im Vergleich zu moderner Horrorliteratur, die oft auf schnellere Eskalationen setzt, altmodisch wirken.

Meinung zu Carnacki, der Geisterdetektiv

Die Geschichten von Carnacki werden von ihm selbst erzählt, aber durch einen Freund an den Leser weitergegeben. Ähnlich wie bei Watson und Sherlock Holmes hört dieser Freund lediglich die Berichte von Carnackis Abenteuern, ohne sie selbst mitzuerleben. Nach jedem Abenteuer versammelt Carnacki regelmäßig seine Freunde zu einem gemeinsamen Essen, um ihnen von seinen jüngsten Fällen zu berichten.

Carnacki entspricht dem klassischen Bild des Detektivs seiner literarischen Zeit durch seine finanzielle Unabhängigkeit und seinen guten Kontakt zur Polizei, die ihm oft ohne Zögern Unterstützung bietet. Anders als die meisten Detektive, die sich auf rationale Verbrechen und weltliche Ermittlungen konzentrieren, hat Carnacki jedoch einen ausgeprägten Bezug zum Okkulten. Sein Wissen über das Übernatürliche hat er aus zahlreichen alten Büchern und Manuskripten gesammelt. Bei seinen Ermittlungen kombiniert er traditionelles okkultes Wissen mit wissenschaftlichen Methoden: Neben Amuletten und magischen Symbolen kommen auch moderne Geräte wie Kameras, Mikrofone und spezielle Lichtröhren zum Einsatz. Diese Mischung aus Okkultismus und Wissenschaft verleiht ihm zu seiner Zeit einen einzigartigen Charakter.

Interessanterweise sind nicht alle seiner Fälle tatsächlich übernatürlichen Ursprungs. Oft stecken, ähnlich wie bei Scooby Doo, Menschen hinter den scheinbar geisterhaften Phänomenen, die die Furcht vor dem Übernatürlichen zu ihrem Vorteil nutzen. Besonders die Auflösungen der Geschichten, die sich als nicht übernatürlich erweisen, wirken jedoch zum Ende hin oft schwach und unbefriedigend. Die Erklärungen, wie die Geisterphänomene von Menschen inszeniert wurden, sind häufig vage und wirken, als hätte der Autor erst im letzten Moment entschieden, den Spuk auf weltliche Ursachen zurückzuführen. Das führt dazu, dass der vermeintliche Schrecken nachlässt und die Spannung gegen Ende hin stark abflacht. Bei den übernatürlichen Fällen passt es dann schon eher, dass nicht jede Frage zu 100 Prozent geklärt werden kann. 

Carnacki, der Geisterdetektiv bietet interessante Ansätze und eine spannende Mischung aus Detektivarbeit und Okkultismus, doch die meisten Fälle bleiben hinter ihrem Potenzial zurück. Die Erklärungen sind oft unzufriedenstellend und lassen die Spannung der Geschichten abflachen. Insgesamt ist es eine solide, aber nicht außergewöhnliche Sammlung von Geschichten, die ein akzeptables Leseerlebnis bieten, jedoch nicht durchweg überzeugen.

Buchtitel: Carnacki, der Geisterdetektiv
Autor: Hodgson, William Hope
Verlag: Festa
Buchseiten: 336 Seiten
ISBN: 978-3-86552-436-2

Das Titelbild ist ein Ausschnitt des Buchcovers, alle Bildrechte liegen beim Festa-Verlag.

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