Innsmouth (Massachusetts), das Küstenstädtchen am Teufelsriff, ist seit jeher eng mit dem Cthulhu-Mythos verbunden. Ein vor sich hinsiechender Ort am Rande der bekannten Welt, von dem es heißt, dass er groteske Geheimnisse verberge, während die vier rivalisierenden Familien Marsh, Elliot, Gilman und Waite seine Geschicke lenken.
Für Lovecraft-Enthusiasten und Mythos-Liebhaber ist Innsmouth nicht nur ein wohlbekannter Schauplatz, sondern auch ein vielversprechendes 1920er-Setting für den Einstieg ins dazugehörige Live Action Roleplay (LARP).
Hinein ins kalte Nass
Tatsächlich hegte ich schon seit meiner damaligen Teilnahme an ersten „Free Forms“ auf der Anrufung 2019 den Wunsch, mal an einem vollumfänglichen LARP teilzunehmen. Als mich dann im Juni 2022 Freunde und Bekannte dazu ermutigten, mit ihnen ins fiktive Innsmouth der Eloria Erlebnisfabrik und des Waldritter e.V. nach Bottrop zu reisen, warf ich notgedrungen meine Zweifel über Bord und meldete mich für den allerersten Run an. Ein mir gleichermaßen bekanntes und interessantes Setting in meinem Lieblingsfranchise mit Freunden zu bespielen schien mir die beste Starthilfe in dieses neue Hobbys, die man sich wohl hätte wünschen können.
Nichtsdestotrotz war die erste große Hürde, die ich dafür zu nehmen hatte, die Finanzierung: Der bereits ermäßigte Eintrittspreis von 290 Euro war nämlich schon eine Hausnummer für sich, zumal sich Anreise, Unterbringung und Outfit auch noch aufaddieren sollten. Dementsprechend bemühte ich mich in den Folgemonaten, mir hier und da etwas Geld zur Seite zu legen, damit meinem ersten großen LARP-Ereignis hoffentlich nichts im Wege stehen würde.
Für den Seegang gewappnet
Nach meiner Anmeldung erreichte mich dann Anfang August der ersehnte Casting-Fragebogen. Darin erhielt ich vor allem erste ausgearbeitete Details zur Inszenierung in Bottrop und durfte Angaben zu meiner bevorzugten Spielweise, Gruppenzugehörigkeit und etwaigen Mitspielenden machen, auf deren Grundlage mir dann eine in etwa maßgeschneiderte Rolle zugewiesen werden sollte.
Mitte September, also nur vier Wochen vor dem eigentlichen Startschuss, wurde mir dann endlich auch meine Rolle respektive mein Spielcharakter zugesandt: Als Angehöriger der verarmten Fischersfamilie Waite leitete ich wohl von Innsmouth aus das hiesige Familiengeschäft und profitierte dabei nebst stinkendem Fisch maßgeblich vom zollfreien Schmuggel mit verbotenen Spirituosen. Ich gehörte also zu den degenerativen Einheimischen des Küstenorts, der gegen die Obrigkeit der Familie Marsh aufbegehrte. Das klang doch wie für mich gemacht!
Allerdings hatte ich keinen blassen Schimmer davon, wie ich mich denn nun einkleiden sollte, um meiner Rolle als schäbiger Fischer auch nur ansatzweise gerecht zu werden. Ohnehin besaß ich keinerlei Fundus, von dem ich hätte zehren können. Und so verbrachte ich einiges an Zeit damit, im Internet nach zeitgenössischen Darstellungen von Fischern und Matrosen der 20er und 30er Jahre Ausschau zu halten, während mich auf dem gleichnamigen Discord-Server andere Teilnehmende mit den Fotos ihrer aufwändigen Outfits nicht nur ins Staunen versetzten, sondern auch verunsicherten.
Letztlich kaufte ich mir einen gefütterten Mantel in Marine-Blau, den ich noch umnähen ließ, eine klassische Schiebermütze, eine einfache Cordhose und ein paar Halstücher. Dazu kamen dann noch ein abgetragenes Baumwollhemd, geliehene Hosenträger, meine alten Bundeswehrstiefel und eine kaputte Taschenuhr mit Kettchen, die ich sonst als Deko fürs Tischrollenspiel nutze. Wichtig war mir dabei, dass keine modernen Kleidungsstücke wie beispielsweise Jeans zum Tragen kommen sollten. Alles also halbwegs stilecht oder zumindest glaubwürdig schlicht.
Am Ende war ich allerdings doch überrascht und auch etwas stolz auf mich, dass mir in der Kürze der Zeit (2 Wochen!) mit relativ wenig Aufwand ein solides Outfit gelungen war, dass mit seinen 180 Euro Gesamtpreis noch etwas hinter meinen ursprünglichen Befürchtungen zurücklag. So konnte ich mich jedenfalls sehen lassen!
Willkommen in Innsmouth!
Am 11. November ging es dann wirklich los: Mit der Deutschen Bahn düste ich – mehr schlecht als recht – nach Bottrop, kurzer Zwischenstopp im Hotel am Bahnhof und von dort aus dann auf zur Eloria Erlebnisfabrik. Dort angekommen, stellte ich fest, dass es sich bei der Lokation um das ehemalige Fabrikgelände einer Bergbau-Gesellschaft handelte, in deren Backsteinhallenkonglomerat ganzjährig die Kulissen eines filmreifen Straßenzugs aufgebaut waren, wie man ihn in den Großstädten der ersten Hälfte des 20. Jh. durchaus hätte finden können.
Da waren die Taverne und die Hotelrezeption der Gilmans, die Bücherei der Elliots, das Herrenhaus der Marshs, die beeindruckende Kapelle des esoterischen Ordens des Dagon, ein Bäcker mit Knabberspaß für zwischendurch, ein antiquiertes Museum, eine Arztpraxis, eine Bootsanlegestelle mit simuliertem Wellenrauschen und natürlich die schäbige Fischbude der Waites. Im Außenbereich fand sich dann auch noch ein Zirkusareal.
Inwieweit man im November noch hätte draußen spielen wollen, erschien mir zwar schleierhaft, aber der Indoor-Spielbereich war definitiv beeindruckend. Weniger angetan war ich hingegen von dem Umstand, dass mir schon während des Anlegens meines Spiel-Outfits die Sohlen beider Stiefel aufbrachen. Zum Glück konnte ich die klaffenden Problemzonen zumindest zeitweilig mit Panzer-Tape befrieden. Wäre sonst auch zu einfach gewesen …
Von Intrigen, Messen und Abenteuern
Gespielt wurde letztendlich am Freitagabend und den ganzen Samstag über bis in die Nacht hinein. Und für mein Alter Ego ‘Morris Waite’ gab es viel zu entdecken, zu erleben und auch zu verlieren.
So erkannte Morris schnell, dass man mit Korruption in höchsten Kreisen weitaus mehr Kohle bei Seite schaffen konnte, als es mit brüchigen Schiffskuttern je möglich wäre. Also ermutigte er die Oberhäupter der anderen beiden Großfamilien, die Gilmans und die Elliots, gegen die herrschenden Marshs aufzubegehren und die von ihnen gestellte Bürgermeisterin abzusetzen, was letztlich auch prächtig gelang. Dann hätte er an der Reihe sein sollen, sich ins Amt wählen zu lassen, um vom bittersüßen Reichtum zu kosten.
Doch in den Reihen der eigenen Familie keimte unlängst der Kult zu Ehren von Mutter Hydra als Gegenströmung zum esoterischen Orden des Dagon auf, dessen Hohepriester ebenfalls von den Marshs gestellt wurde. Eine günstige, wenn auch gefährliche Gelegenheit, die Marshs noch weiter abzusägen. Unglücklicherweise funktionierte das Beschwörungsritual, an dem auch Morris tatkräftig mitwirkte, nur allzu gut und Mutter Hydra entsandte gönnerhaft ihre Diener nach Innsmouth, auf dass auch die letzte Seele dem Wahnsinn anheimfallen sollte …
Insgesamt fühlte ich mich in meiner Rolle als Morris Waite die meiste Zeit über recht wohl und hatte dank meiner engagierten Mitspielenden, insbesondere den anderen Waites und ihrer Partner, eigentlich fast immer super viel Spaß am Konspirieren und Rebellieren. Gemeinsam ermöglichten wir einander viel Spiel, indem wir uns ingame mehrfach aktiv zusammenrauften, um gemeinsam Intrigen zu schmieden oder geschlossen in der gespielten Öffentlichkeit aufzutreten, sodass sich daraus eine wunderbare Eigendynamik entwickeln konnte.
Es ist nicht alles Gold, was glänzt
Abseits der atemberaubenden Spielstätte und der tollen Mitspielenden in meinem näheren Umfeld lief jedoch nicht alles rund. Bei den anfänglichen Workshops zur Heranführung ans Horror-Setting mitsamt seinen für dieses Genre sehr wichtigen Sicherheitsmechanismen, die jedoch teils nur sehr lax kommuniziert wurden, dachte ich mir noch nichts bei.
Als aber für den Plot wichtige Ereignisse aufgrund von Fehlkonzeptionen oder technischen Mängeln nicht rechtzeitig inszeniert werden konnten, zuvor versandte Spielmaterialien wie Rollenbeschreibungen teils fehlerhaft waren oder ganz gefehlt haben, offenbarten sich in den persönlichen Gesprächen im Nachgang doch einige arge Mängel. Den für mich offensichtlichsten Schnitzer bildete dabei das fehlende bzw. ausgefallene Mittagessen am Samstag, das verständlicherweise die Stimmung aller drückte. Mit leerem Bauch spielt es sich einfach nicht gut.
Erfreulicher war hingegen der Umstand, dass, wie ich hörte, in der darauffolgenden Runde (Run 2) eine Woche später die gröbsten Mängel beseitigt schienen. Somit wurde der Kritik der Spielenden Gehör geschenkt, auch wenn ausgerechnet in meiner Feedback-Gruppe (verständlicherweise) erstmal nur positive Erlebnisse kommuniziert werden sollten. Zweifellos war es auch hinter den Kulissen kein einfaches Wochenende.
Zum Geleit
Am Ende muss man sich aber doch fragen: Hat es sich wirklich gelohnt, Innsmouth zu besuchen? War es das wert, etwa 750 Euro für ein immersives Erlebniswochenende zu investieren? Sollte ich das wieder tun?
Nach reiflichem Hin und Her habe ich mich inzwischen dazu entschlossen, das Erlebte als positive Erfahrung abzubuchen. Tatsächlich wollte ich ja schon immer mal an einem LARP teilnehmen und bin dafür über meinen Schatten gesprungen, um in die Fremde auszuziehen und mit weit über 100 Gleichgesinnten unterschiedlichster Couleur etwas Neues auszuprobieren. Außerdem bereitete mir die cthulhoide Unternehmung als ‘Morris Waite’ viel Spaß, ich konnte etwas mit Freunden unternehmen und habe viele ungeahnt spannende Einblicke erhalten.
Allerdings muss ich auch zugeben, dass ich von einer in der LARP-Szene etablierten Orga bzw. sich zumindest aus erfahrenen Einzelpersonen zusammensetzenden Orga in Anbetracht des für mich hohen finanziellen Aufwands eine schlichtweg professionellere Durchführung erwartet hätte. Es ist völlig normal, dass sich einzelne Fehler einschleifen und nicht immer alles glattläuft, aber zumindest in Teilen wirkte es zuweilen schon derart fahrlässig, als wäre das Veranstaltungskonzept noch nicht vollends ausgereift.
In Zukunft werde ich mir auf jeden Fall reiflich überlegen müssen, ob ich bei völlig neuen LARP-Veranstaltungen wirklich am allerersten Run teilnehmen muss oder ob ich nicht vielleicht doch lieber auf bereits etablierte Konzepte setze. Nichtsdestotrotz ist mein Interesse geweckt. Schließlich hängt nun ein erstes, cooles Outfit (ohne Stiefel) im Schrank, das weiter benutzt werden möchte.
Abschließend möchte ich mich nebst der Eloria Erlebnisfabrik und dem Waldritter e.V. für die Durchführung des LARPs Nebel über Innsmouth noch ausdrücklich bei Ralf Hüls (kamerakata) für seinen unermüdlichen Einsatz als Fotograf bedanken, der das Spielgeschehen vor Ort pausenlos begleitete. Auf seiner Homepage gibt es tatsächlich noch reichlich mehr Bildmaterial zum Event zu entdecken.
LARP: Nebel über Insmouth
Zeitraum: Run 1, 11.-13.11.2022
Ort: Eloria Erlebnisfabrik, Bottrop
Veranstalter: Eloria Erlebnisfabrik und Walrittter e.V.
Genre: Horror, Mystery, 1920er
Die Bildrechte für das Titelbild und alle weiteren, hier verwendten Fotoaufnahmen liegen bei kamerakata.
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