Howard Philips Lovecrafts Geschichten leben nicht von plakativem Monster-Horror, sondern von etwas Tieferem: dem Gefühl, dass unsere Realität nur eine fragile Fassade über dem Unerklärlichen ist. Es ist das kosmische Grauen, die Angst vor dem Unbekannten und dem Unbegreiflichen, die seine Werke bis heute so faszinierend macht. Einige Filmemacher haben es geschafft, diesen schwer greifbaren Horror auf die Leinwand zu bringen – mal subtil und psychologisch, mal bildgewaltig und verstörend. Hier sind fünf Filme, die Lovecrafts Perspektive auf ganz eigene Weise einfangen:
1. Dagon (2001)
Regisseur Stuart Gordon adaptiert Lovecrafts Werke in seinem ganz eigenen Stil – oft schräg, manchmal blutig, immer respektvoll. Mit Dagon verfilmt er lose die Kurzgeschichte The Shadow over Innsmouth und transportiert sie ins zeitgenössische Spanien. Ein junger Mann und seine Freundin stranden nach einem Bootsunglück in einem abgelegenen Fischerdorf, das von Regen, Nebel und finsteren Bewohnern bevölkert wird.
Die Atmosphäre ist von Anfang an unheilvoll: dunkle, regennasse Straßen, gruselige Hotelzimmer, seltsame Statuen – und das allgegenwärtige Wasser. Die Kamera führt durch enge Gassen wie durch einen Alptraum, während hinter jeder Ecke das Gefühl lauert, dass „etwas nicht stimmt“. Die Bewohner des Ortes wirken entstellt, stumm oder seltsam gläubig. Bald wird klar: Die Dorfbewohner sind Nachkommen einer finsteren Meereskreatur – und Teil eines Kults, der einem alten Wesen huldigt.
Trotz begrenzten Budgets überzeugt der Film durch seine dichte Atmosphäre und kreative Effekte. Dagon ist kompromisslos und grotesk – und gerade deshalb als Lovecraft-Adaption so wirkungsvoll.
2. The Endless (2017)
Justin Benson und Aaron Moorhead, bekannt für ihr Gespür für leisen, psychologischen Horror, liefern mit The Endless eine moderne, fast philosophische Auseinandersetzung mit dem lovecraft’schen Kosmos. Zwei Brüder, die in ihrer Jugend einem seltsamen Kult entkommen sind, kehren Jahre später zurück, um sich ihrer Vergangenheit zu stellen. Was als nostalgischer Trip beginnt, verwandelt sich bald in einen metaphysischen Albtraum.
Die Stärken des Films liegen in der ruhigen Erzählweise, der glaubwürdigen Darstellung der Figuren und der schleichend langsamen Eskalation. Der Horror ist nicht laut oder blutig, sondern existenziell. Zeit und Raum beginnen sich aufzulösen, der Zuschauer verliert – wie die Figuren – zunehmend den Überblick. Was ist real? Wer oder was zieht hier die Fäden?
Ohne je explizit zu werden, bedient sich der Film klarer Lovecraft-Motive: übermenschliche Mächte, die aus dem Hintergrund agieren, ein Gefühl von Determinismus und Machtlosigkeit sowie die Vorstellung, dass hinter der sichtbaren Welt eine tiefere, verstörende Wahrheit liegt.
3. The Deep Dark (2023)
Ein eher neuer Beitrag zum Lovecraft-inspirierten Kino stammt aus Frankreich: The Deep Dark von Mathieu Turi führt uns tief unter die Erde, in ein finsteres Stollensystem, das von uralten Schrecken durchzogen ist. In den 1950er Jahren begleiten wir eine Gruppe Bergarbeiter, die unter Leitung eines mysteriösen Professors ein altes Grubensystem erforscht. Was sie dort entdecken, hätte jedoch besser verborgen bleiben sollen.
Der Film ist kammerspielartig inszeniert: Enge Tunnel, flackerndes Licht und bedrückende Dunkelheit erzeugen eine nahezu greifbare Klaustrophobie. Im Gegensatz zu vielen anderen Lovecraft-Verfilmungen ist The Deep Dark weniger abstrakt als vielmehr unmittelbar beklemmend. Der Schrecken kommt nicht aus fernen Galaxien, sondern kriecht aus dem Erdinneren, hautnah und brutal.
Die Parallelen zu Lovecrafts The Rats in the Walls oder The Nameless City sind deutlich – es geht um verborgene Zivilisationen, alte Gottheiten und die Hybris des Menschen, sich über das zu erheben, was er nicht verstehen kann. Der Film entwickelt einen Sog, dem man sich schwer entziehen kann – besonders dann, wenn das Grauen endlich die Dunkelheit verlässt.
4. The Thing (1982)
Obwohl The Thing keine direkte Lovecraft-Verfilmung ist, atmet jeder Frame die Essenz seines Horrors. John Carpenters Meisterwerk erzählt von einer Forschungsstation in der Antarktis, die von einer außerirdischen Lebensform infiltriert wird. Dieses Wesen kann jede Gestalt annehmen, was zu Paranoia, Misstrauen und wachsendem Wahnsinn unter den Wissenschaftlern führt.
Hier liegt die Nähe zu Lovecraft: Die Angst vor dem Anderen, das sich unter einer vertrauten Oberfläche verbirgt, und die Erkenntnis, dass es keine Möglichkeit gibt, die Wahrheit zu erkennen. Jeder könnte „es“ sein. Diese fundamentale Unsicherheit macht The Thing so beklemmend.
Hinzu kommt das grandiose Effekt-Design von Rob Bottin: Die Kreatur wird in bizarren, grotesken Formen gezeigt – Körperteile mutieren, Köpfen wachsen Beine, Gesichter platzen auf. Die Effekte sind nicht nur schockierend, sondern spiegeln perfekt Lovecrafts Idee wider, dass bestimmte Dinge den menschlichen Verstand überfordern. The Thing ist ein Film über Identitätsverlust, Isolation und Kontrollverlust – und damit ein Paradebeispiel für kosmischen Horror.
5. The Call of Cthulhu (2005)
Was passiert, wenn man Lovecrafts wohl bekannteste Geschichte exakt so erzählt, wie sie geschrieben wurde? Die H.P. Lovecraft Historical Society hat es gewagt – und The Call of Cthulhu im Stil eines Stummfilms der 1920er produziert. Ganz in Schwarz-Weiß, mit Zwischentiteln, orchestraler Musik und einem Stil, der sich haargenau an die Ästhetik damaliger Filme anlehnt.
Das Ergebnis ist einzigartig: Fast dokumentarisch erzählt der Film die Geschichte eines Mannes, der in einem Nachlass auf Hinweise zu einer weltumspannenden Sekte stößt, die ein uraltes Wesen verehrt – Cthulhu. Die filmische Umsetzung folgt dabei exakt der Struktur der Erzählung: verschachtelte Rückblenden, Reiseberichte, Zeitungsartikel. Was auf dem Papier komplex wirkt, gelingt dem Film durch präzise Regie und authentische Machart.
Trotz – oder gerade wegen – seiner minimalistischen Mittel gelingt The Call of Cthulhu ein großes Kunststück: Er transportiert Lovecrafts Atmosphäre originalgetreu auf die Leinwand, ohne den Fehler zu machen, das Unsagbare zu deutlich zu zeigen. Der Verzicht auf Dialoge lenkt den Fokus auf Bildkomposition, Mimik und Musik – und macht den Film zu einem ästhetischen Erlebnis. Ein Geheimtipp für Liebhaber.
Der Horror hinter dem Vorhang
Lovecrafts Werke handeln selten von dem, was auf den ersten Blick zu sehen ist. Es geht nicht um Monster, sondern um das Verstummen des Verstands angesichts einer Wahrheit, die größer ist als der Mensch. Die besten Lovecraft-Filme versuchen gar nicht erst, alles zu zeigen. Sie lassen Raum für das Unbekannte, das Unerklärliche – und genau dort entsteht der wahre Horror.